Elling

Ein Film von Petter Næss

Deutscher Kinostart: 2. Mai 2002

Von Lambert-Sebastian Gerstmeier

"Da gibt es die einen,
für die ist eine Expedition zum Südpol etwas fast Alltägliches ...
... und dann gibt es die anderen,
für die ist schon der Gang quer durchs Restaurant ein großes Abenteuer."

 

Von diesen anderen erzählt der Film ELLING.

Und diese anderen sind Elling (Per Christian Ellefsen) und Kjell Bjarne (Sven Nordin). Zwei auf den ersten Blick ungleiche Typen, aber bei näherem Hinsehen muß man feststellen, daß sie "Blutsbrüder" sind. So heißt auch treffend der Roman von Ingvar Ambjørnsen, der die Vorlage für diesen grandiosen Film liefert. Ein Film der in einer wunderbaren Weise von dem erzählt, was wir landläufig "Normalität" nennen. Doch für Elling und Kjell Bjarne ist diese "Normalität" ein großes Abenteuer, eine Herausforderung.

 

Als Zimmergenossen lernen sie sich in der psychiatrischen Einrichtung von Brøynes zuerst kennen – und später dann auch schätzen. Elling, Muttersöhnchen – wie er selber sagt – und heimlicher Verehrer der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland und Kjell Bjarne, der eigentlich nur zwei Ziele verfolgt – und das durchaus mit stoischer Konsequenz: Essen und endlich, endlich Sex mit einer Frau haben. In der Psychiatrie sind geeignete Frauen schwer aufzutreiben und so verkürzt Elling ihm die Wartezeit mit höchst phantasievollen, wüsten, orgiastischen Geschichten aus seiner eigenen "reichhaltigen Erfahrung"...
Nach zwei Jahren ist es plötzlich soweit! Elling und Kjell Bjarne sollen ins sogenannte "reale" Leben entlassen werden. Nach Oslo! Dort bekommen sie eine Wohnung und den Sozialarbeiter Frank Åsli (Jørgen Langhelle) zur Seite gestellt. Nun sollen sie sich des in sie gesetzten Vertrauens als würdig erweisen. Ansonsten warte da schon eine lange Schlange von anderen Leuten, sagt Frank Åsli, der klare Absprachen verlangt. Gar nicht so einfach, das mit den Absprachen und dem normalen Leben, zumal wenn schon das Telefonieren, das Einkaufen und überhaupt das Verlassen der Wohnung für Elling unüberwindbare Hindernisse darstellen. Es gibt eben die einen, die wandern auf Skiern zum Südpol und die andern, die schaffen nicht einmal den Weg quer durchs Restaurant aufs Klo...
Doch dann liegt am Weihnachtsabend eine Frau im Treppenhaus. Für Kjell Bjarne die Chance seines Lebens und Elling entdeckt unversehens seine Berufung zum anonymen Sauerkraut-Poeten "E". Nun müssen die beiden alles geben, was sie können... und vielleicht noch ein bißchen mehr. Und mit einem Mal ist das "reale" Leben nicht mehr ein Hindernis, sondern ein mächtig gewaltiges Abenteuer.

 

Dieser Film erzählt die Geschichte sehr einfühlsam und sensibel. Man fühlt mit den beiden Helden, hofft, daß das, was sie anpacken auch gelingt. Alltägliches ist nun nicht mehr alltäglich, man sieht die Welt plötzlich mit anderen Augen – nämlich mit denen von Elling und Kjell Bjarne – und damit entdeckt man viel Neues.
Irgendwie erkennt man sich selbst auch wieder: wie war das, als man selbst die ersten Schritte ins eigene Leben gemacht hat? Bestimmte Situationen laufen vor dem inneren Auge ab. Und wie verhalten wir uns eigentlich heute?
Das fängt mit dem Kauf der Fahrkarte nach Oslo an: Elling staunt, sie ist nämlich viel, viel teurer als damals vor Jahren, als er sie zuletzt mit seiner Mutter kaufte. Auch telefonieren ist nicht so einfach, wenn man sein Gegenüber nicht sieht und muß geübt werden. Einfach so nach draußen gehen, auf die Straße? Einkaufen? Da sind doch Leute, außerdem muß man dazu gefährliche Kreuzungen mit vielen Autos überqueren – auch Ampeln helfen da nicht. Und die Frau auf der Treppe, die lassen wir liegen – soll sich doch ein anderer drum kümmern...

Diese Alltäglichkeiten bestimmen den Film und haben auch eine gewisse Komik. An vielen Stellen ist das Lachen jedoch eher befreiend, denn manche Situationen sind sehr beklemmend und man fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Das zeugt von der Güte des Films, der mit Recht für einen Oscar nominiert war. Ruhige Kameraführung; Bilder und Dialogtexte die einen neugierig machen. Von Anfang bis Ende ein Spannungsbogen, der mitreißt.

"In Norwegen war ELLING der Kinoerfolg des Jahres. Über 800.000 Norweger – von insgesamt 4,2 Mio – haben sich bislang von Elling und Kjell Bjarne bei ihrem Versuch, im 'richtigen Leben' klarzukommen, mitreißen lassen. Somit hat ELLING proportional mehr Zuschauer im eigenen Land erreicht als 'Amélie' in Frankreich.
800.000 Norweger können nicht irren..."

So heißt es in der Pressemitteilung. Dem kann man nur zustimmen – ein spannender Film, den jeder gesehen haben muß. Er ist nämlich auch ein Kennenlernen des eigenen Ichs – "Erkenne Dich selbst".
Dazu paßt ein bekannter Werbespruch, abgewandelt:

"Sind wir nicht alle ein bißchen Elling???"

Anmerkungen des Regisseurs Petter Næss zum Film "ELLING"

"Ich wollte einen Film über die menschlichen Fähigkeiten drehen, der herzerwärmend ist und uns Hoffnung gibt. Das Thema der Freundschaft interessierte mich ebenfalls sehr. Mir war es wichtig zu betonen, daß sie füreinander da sind. Ich wollte auf keinen Fall einen Film über Menschen in der Psychiatrie drehen. Diese Jungs haben keine diagnostizierte Krankheit. Ihr Problem ist, daß sie über keinerlei soziale Erfahrung verfügen. Niemand gab ihnen je die Gelegenheit, sich zu beweisen oder hatte gar Vertrauen in sie. Für mich war es wichtig, Möglichkeiten und menschliche Qualitäten von Personen zu zeigen, die man augenscheinlich nicht von ihnen erwarten würde. Das ist es, warum ich diesen Film drehen wollte. [...]
Die Figuren in ELLING sind starke Persönlichkeiten, aber sie verhalten sich eben nicht wie 'normale' Leute. Es war sehr wichtig und unglaublich schwer, eine bestimmte Art der Skurrilität zu erreichen. Einen Schauspielstil zu finden und eine Ausgewogenheit zwischen Humor und Ernsthaftigkeit zu erlangen. Ich wollte, daß das Publikum lacht, weil es mit den Figuren fühlt, nicht weil es sie seltsam findet. Wir haben für ELLING nicht in Psychiatrien recherchiert. Wir haben uns vollkommen auf unsere eigenen Erfahrungen und unsere persönliche Identifizierung mit den Figuren und der Geschichte verlassen. Das einzige Problem war, ein Gleichgewicht zwischen Komödie und Drama zu finden. Während der ganzen Zeit vom Schreiben des Drehbuchs über Casting, Proben und Dreh bis zum Schnitt des Filmes haben wir darum gekämpft. Und ich bin überzeugt, daß der Grund für diese immense Popularität dieses Filmes der ist, daß wir dieses Gleichgewicht herstellen konnten. [...]
Wir alle kämpfen auf verschiedensten Ebenen ständig damit, eigene Grenzen zu überschreiten und innere Hürden zu überwinden. Für mich ist dies eine Geschichte über meine eigenen Ängste und Phobien und den Versuch, die daraus resultierenden Blockaden zu durchbrechen."

Elling
  • Ein Film von Petter Næss
  • Norwegen 2001
  • 90 Minuten
  • 35 mm
  • 1:1,66
  • Deutscher Kinostart: 2. Mai 2002
Besetzung

Elling: Per Christian Ellefsen
Kjell Bjarne: Sven Nordin
Alfons Jørgensen: Per Christensen
Frank Åsli: Jørgen Langhelle
Reidun Nordsletten: Marit Pia Jacobsen
Gunn: Hilde Olausson
Hauger: Ola Otnes
Johanne: Eli-Anne Linnestad
Cecilie Kornes: Cecilie Mosl
iHaakon Willum: Joachim Rafaelsen
Eriksen: Per Gørvel
Waiter: Knud Dahl
Ticket agent: Knut Haugmark


Regie: Petter Næss
Produzent: Dag Alveberg / Maipo Film- und TV-Produktion
Drehbuch: Axel Hellstenius
Romanvorlage (Blutsbrüder): Ingvar Ambjørnsen

Kamera: Svein Krøvel
Art Director: Harald Egede Nissen
Schnitt: Inge-Lise Langfeldt

Sound Design: Jan Lindvik
Musik: Lars Lillo Stenberg

Produktionsleitung: Synnøve Hørsdal
Regieassistenz: Binne Thoresen
Kostüm: Aslaug Konradsdottir
Maske: Cecilie Greve
Licht: Knut Haraldsen

Bilder zum Film

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